Inhaltswarnung: Sexuelle Gewalt

Das Match

Meine Hände ruhen auf dem Steuer eines Autos, das ich mir für diese Fahrt geliehen habe. Ich bin eine schlechte Autofahrerin, meine Fähigkeiten reichen nicht aus und ich denke mehrmals auf der Fahrt hierher, dass ich wohl das Zeitliche segnen werde.

Das Auto steht bereits seit einigen Minuten, doch das Zittern in meinen Beinen und Händen will einfach nicht aufhören. Es war die gesamte Fahrt mein Begleiter, und ich staune darüber, dass es mich trotz der langen Strecke nicht verlassen hat.

Würde ich am Tag fahren, hätte ich bestimmt einen Unfall gebaut. Nachts fühle ich mich wohler, und es sind eindeutig weniger Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs, die ich nehmen muss.

Doch die Dunkelheit in dieser fremden Stadt schenkt mir kein Gefühl von Sicherheit. Ich bin froh, dass der Weg zum Ziel kurz ist. Handtasche und Rucksack, die während der Fahrt auf dem Beifahrersitz lagen, stehen bereit, damit ich losgehen kann.

Nach einigen tiefen Atemzügen schnappe ich sie mir und steige aus dem Auto. Meine Hände wollen nicht aufhören zu zittern, und der Druckknopf, um das Auto zu verschließen, nachdem die Tür ins Schloss fällt, sträubt sich erbittert.

Als ich es schließlich schaffe, das Auto zu verschließen, verschwindet der Schlüssel in meiner Handtasche. Ich stürze fast auf der kurzen Strecke zu ihm, zu seiner Wohnung, durch die zitternden Beine.

Nicht nur Panik ist in diesem Moment mein Begleiter. Auch Hoffnung erfüllt mich, Hoffnung auf etwas Neues und Schönes. Ich habe in der App diesen Mann kennengelernt. Er spielt dieselben Spiele wie ich, und ich glaube, er ist sympathisch.

Das ist er doch, oder? Warum bin ich hier und habe mir diesen Stress angetan, um einen fremden Mann zu treffen, der mit mir zusammen sein möchte, wenn nicht, weil er sympathisch ist? Bin ich so verzweifelt? So einsam und erbärmlich, dass ich mich einfach auf etwas einlasse, weil ich hoffe?

Ich presse meine Tasche an mich. Es ist nicht der richtige Moment, mich das zu fragen. Jetzt ist es ohnehin zu spät. In diesem Auto zu sterben oder in dieser Wohnung, macht das an dieser Stelle einen Unterschied?

Mein Herz rast, als ich seinen Nachnamen an der Klingel entdecke und sie betätige. Ein Surren erklingt und gibt den Weg ins Innere frei. Die Etage kenne ich zwar nicht, aber auf dem Weg nach oben werde ich ihm begegnen. Nachdem ich mehrere Stufen nehme, entdecke ich ihn.

Er steht im Türrahmen und blickt mich an. Es überrascht mich selbst, dass er es ist, dem ich in der Dating-App antworte. Er ist klein, wenig auffällig. Keins seiner Attribute überzeugt mich. Doch ich wusste ja, wie er aussieht, und frage mich bereits, was ich hier eigentlich mache.

Er lässt mich herein und weist mir das Bett zu, das unweit seiner Eingangstür steht, etwas das ich bei der Gestaltung meiner Wohnung nie tun würde. Doch scheinbar hat er generell das Hobby, seine Möbel anders zu arrangieren, und dies ist bloß eine Art Experiment.

Ein Experiment, das ihm gelegen kommt, denn so sitze ich ja schon mal auf seinem Bett, und er gleich daneben. Seine Augen blicken mich von unten erwartungsvoll an, und schon nach einigen Begrüßungsfloskeln zieht er mich an sich und verbindet unsere Lippen miteinander.

Etwas, das mir durchaus gefällt. Ich küsse gern. Es gibt mir die Illusion von Nähe und Bindung, schenkt mir für einen Augenblick die Chance, zu vergessen, was mich stetig verfolgt.

Aus dem Kuss werden viele, und sie werden zu einer Knutscherei, bei der er sich auf den Rücken liegend meinen Lippen ausgeliefert wiederfindet. Als wir uns nach einer Weile voneinander lösen, schaut er nicht minder erwartungsvoll zu mir.

„Wir werden nun Sex haben“, verkündet er, und ich sehe ihn zuerst erschrocken an, bevor ich meinen Blick zu Boden richte und erwidere: „Ich möchte noch nicht. Ich will warten, mir Zeit lassen, es wirklich wollen.“

Doch es scheint, als sei meine Ansicht des Sachverhalts nur ein Kommentar, einer, der zwar besprochen wird, jedoch nicht über den Verlauf des Abends bestimmt. Denn mit kräftiger Stimme stellt er fest: „Ich habe Sex jedes Mal, wenn jemand herkommt. Ich werde jetzt auch Sex haben.“

Ich kralle mich in die Bettwäsche, auf der wir sitzen, und kann nicht glauben, was ich da höre. Erneut bemühe ich mich, ihn zu beschwichtigen und meinen Wunsch durchzusetzen: „Wir werden auch bestimmt bald Sex haben, aber noch nicht jetzt. Es ist doch schöner, etwas zu warten, oder?“

Er beginnt sich auszuziehen und sieht mich ernst an. „Ich werde es mir jetzt machen, du wirst zusehen, und dann wirst du schon wollen. Wenn du nicht willst, kannst du aber auch nach Hause fahren.“

Ich stehe auf und starre ins Leere. Es ist nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert. Wieder in das Auto, das mir solche Angst macht, raus aus dieser fremden Stadt im Dunkeln, über eine Stunde als Fahranfängerin den Weg nach Hause suchend über verlassene Felder?

Dann wieder alleine sein? Zu Hause sein, das Zuhause, in dem man mir auch ständig weh tut? Und würde er mich nun einfach gehen lassen? Er ist kleiner, aber seine Kraft übersteigt meine bei Weitem. Wenn ich es tue, aushalte, wird dann alles gut werden? Werde ich nicht mehr alleine sein?

Und so fallen mein Oberteil und mein BH neben mir auf den Boden, gefolgt von Leggings, Schlüpfer und Socken. Er wartet auf mich, und ich komme zu ihm ins Bett. Wir beginnen, uns ein wenig zu küssen, doch das ist von kurzer Dauer.

Denn zügig will er zum Penetrativen übergehen, und ich lasse ihn machen. Nur heute Abend, nur jetzt, und dann wird alles wieder gut werden, oder? Es dauert länger als erwartet, und doch bin ich froh, als er kommt und der Programmpunkt für ihn erledigt ist.

Dass er nicht noch versucht, eine zweite Runde zu beginnen oder mich weiter berühren will, erfreut mich. Sein zwanghafter Wunsch ist erfüllt, und ich darf mich nun unter der Bettdecke ausruhen, während er ins Bad geht.

Ich hätte mich fürs Schlafen ausgezogen, hätte ihn geküsst und gekuschelt, warum ist das nicht genug? Warum muss das hier passieren? Wäre es nicht okay gewesen, wenn es später passiert wäre?

Für ihn sind es zehn Minuten und für mich der Rest meines Lebens. Ich kann nur hoffen, dass er jetzt zumindest der liebevolle Partner ist, der er meinte zu sein. Und es ist ein kleiner Hoffnungsschimmer, der in diesem Moment etwas sehen will.

Einer, der sich freut, dass er sich an mich kuschelt, nur meinen Bauch berührt und schlafen will. Etwas, das ich mir auch wünsche: zu schlafen und zu hoffen, dass ich am nächsten Morgen aus dem Albtraum erwache und mein Märchen beginnt.

Wann beginnt mein Märchen?