Die Isolation

Ein schöner Abend mit meiner besten Freundin neigt sich dem Ende zu. Gemeinsam schauten wir einen Horrorfilm im Kino, wir lieben Horror, und danach entspannten wir uns noch ein wenig von der Aufregung mit zwei Cocktails aus der geselligen Bar gleich neben dem Kino.

Locker lachend treibt es uns in der Dunkelheit der Nacht Richtung Parkhaus, in dem dein Auto steht und das die letzte Etappe dieses schönen gemeinsamen Tages einläutet. Viel zu gern würde ich diesen Tag in eine Zeitschleife bannen, um jeden Tag aufs Neue mit dir zu beginnen.

Viel zu gern würde ich den drohenden Abschied etwas verzögern, die traute Zweisamkeit noch ein wenig länger auskosten. Und mich darüber freuen, dass heute keine unserer anderen Freundinnen dabei ist, nur du und ich, so wie ich es am liebsten habe.

Im Parkhaus angekommen bezahlst du bereits das Parkticket, während ich geduldig an dem bereits gerufenen Fahrstuhl warte, damit wir auf die dritte Ebene gelangen. Als du fertig bist, betreten wir gemeinsam den Fahrstuhl und die Türen schließen sich.

Dass das Parkhaus noch recht neu ist, merkt man an den Fahrstühlen am meisten. Dieser riecht weder komisch noch sind die Spiegel gebrochen oder mit Graffiti getaggt. Einzig ein kleiner Sticker mit einem lustigen Spruch hat sich nach der Eröffnung eingeschlichen.

Wir stehen nebeneinander, nah genug, um die Wärme deiner Haut zu spüren, doch noch zu weit, um dich zu berühren, während sich der Fahrstuhl nach oben bewegt.

Die erste Etage nimmt er recht zügig und wird bei der zweiten ein wenig langsamer. Insgeheim bin ich darüber froh, denn ich will jeden kleinen Augenblick bewahren. Doch als er vor der dritten Etage absackt und stehen bleibt, erfüllt sich mein Wunsch auf eine Weise, die ich nicht im Sinn habe.

Wir schreien auf und greifen nach den metallenen Stangen an den Seitenbereichen, um Halt zu finden. Das Licht flackert einige Male, bevor es ganz erlischt und uns in der Dunkelheit zurücklässt.

Plötzlich spüre ich deine warme, schmale Hand auf meinem Kleid, die Beistand sucht. Ich ziehe dich an mich und umarme dich. Dein Körper zittert, und ich kann mir vorstellen, welche Gedanken nun durch deinen Kopf gehen.

Mir geht es ähnlich, und ich versuche sehr, mir das nicht anmerken zu lassen. Egal wie die Situation verläuft, ich will, dass du dich wohler fühlst statt noch panischer.

Dein Kopf ruht an meiner Brust und dein Kichern erfüllt die kleine Kabine. „Dein Herz schlägt so sehr. Bist du extra tapfer für mich? Wären wir nicht beides Frauen, hätte ich dir ja fast schon unterstellt, dass es andere Gründe hat, dass es so laut ist. Aber es ist beruhigend.“

Ich ringe nach Worten und versuche unsicher das Thema zu wechseln, indem ich sage: „Ich bin mir sicher, alles wird gut. Das hält, und jemand wird kommen und uns retten. Vielleicht können wir ja wen anrufen … müsste es nicht irgendwie auch einen Notfallknopf geben?“

Deine Hände, die vorher noch nah an meinem Bauch ruhen, umschließen mich nun und umarmen mich umso mehr. „Ich bin so froh, dass du mit mir hier bist. Es ist sooo gruselig und doch wird es mit der Panik besser“, hauchst du in die Dunkelheit, und es fällt mir schwer, die Nähe auszuhalten. Wir sind uns oft nah, aber nicht so lang und intensiv.

Verzweifelt fische ich nach meinem Handy mit der Hoffnung, jemanden anzurufen. Noch bevor ich es auf Kopfhöhe bringen kann, flutet das Licht des Aufzugs die Kabine und lässt uns erschrocken zusammenzucken.

Jetzt, wo das Licht zurückkehrt, suchst du meinen Blick und deine Augen weiten sich, als du mein rot gewordenes Gesicht erblickst. Immer größer werden deine Augen, und es sticht in meiner Brust, mit was für einem Blick du mich nun bedenkst.

Die Umklammerung löst sich, und du trittst einige Schritte von mir weg. Alles ist mir in diesem Moment lieber, als dich so zu sehen. Ich rutsche langsam an der Wand hinab und schaue auf mein Handy, um mich endlich von deinen Augen lösen zu können.

Mein Bauch krampft, und dass ich absolut keinen Empfang in diesem kleinen Gefängnis habe, macht es nicht besser. Die Geräusche aus deiner Ecke erwecken die Vermutung, dass du dich auch gesetzt hast. Doch ich traue mich nicht hochzublicken, um es herauszufinden.

Das Handy verschwindet wieder in meiner Handtasche. Ich hätte mich gern unterstützend und warm gegeben, aber wie kann ich das jetzt noch? Wir haben da nie drüber gesprochen, doch dein Gesicht wirkt mehr als unbegeistert. Vielleicht wäre es wichtig gewesen zu wissen, wie du generell dazu stehst. Aber dich nie zu fragen, liegt wohl in meiner Angst begründet, dich zu verlieren.

Es scheint, als wäre dies unser letzter Abend, den wir miteinander verbringen und in dem wir miteinander sprechen. Ich ziehe meine Beine an und bette mein Gesicht an ihnen. Würdest du es mir übel nehmen, wenn ich weine? denke ich noch, doch der Gedanke ist hinfällig, da ich es nicht mehr verhindern kann.

Lautes Schluchzen entweicht mir, und meine Leggings saugt meine Tränen wie ein Schwamm auf, wodurch die Stelle, an der mein Kopf ruht, immer nasser wird. Ich verliere mich im Gefühl, und es kommt mir vor, als läge auf meinen Ohren ein Rauschen, und alles verschwimmt zunehmend um mich herum.

Als mein Kopf behutsam angehoben wird, blicke ich mit trübem Blick in dein Gesicht. Wie ich wohl aussehe, so rot, so verheult und mein Make-up sicher hinüber. Ein stiller Gedanke blitzt auf: Warum bin ich nur so?

Doch anstelle dessen, dass du mein Weinen unterbindest, scheinst du fast schon Mitgefühl für mich zu haben. Wärme liegt in deinem Gesicht, während deine Daumen sanft meine Wangen streicheln.

Wie sehr es dich wohl quält, so zu schauen und mich noch anzufassen, nachdem du eine Vermutung aufgestellt hast, die ich mit meiner Reaktion wohl bestätigt habe. Unsere Freundschaft ist vorbei und das Geheimnis gelüftet, denke ich.

Ein weinerlich verzerrtes „Es tut mir leid“ verlässt meine Lippen und wird alsbald von mehreren Wiederholungen begleitet. Als würde alles wieder gut werden, wenn ich dir nur oft genug sage, wie leid es mir tut, dass ich so bin und so fühle.

Deine Augen wandern nach unten und du unterbrichst den Blickkontakt, als ich anfange mich zu entschuldigen, und murmelst fast schon so schuldbewusst wie ich mich fühle: „Die Einzige, die sich entschuldigen muss, bin ich. Du hast nichts falsch gemacht. Ich war überfordert, es war so überraschend und ich habe dir wehgetan. Es tut mir leid.“

Es sticht in meiner Brust, und mit einem gezwungenen Lächeln erwidere ich: „Schon in Ordnung, so würde es ja vielen gehen. Danke, dass du trotzdem noch so höflich bist. Sobald wir hier raus sind, werde ich dich nie mehr belästigen.“

Deine Hände greifen kräftiger nach meinem Kopf und erzwingen einen Blickkontakt. Zwei Augen starren mich wütend an, und ich bin mir nicht sicher, ob du mich nicht sogar schlagen würdest, so sauer wie du scheinst.

Ein Augenblick vergeht, um dir wohl die Möglichkeit zu geben, wütend, aber nicht so wütend zu sein, und du blaffst mich an: „Hab ich jemals irgendwie gesagt, dass ich das möchte? Ich kann schon selbst sagen, wenn ich ein Problem mit irgendetwas habe.“

Ihr zu sagen, dass ihre Augen Bände sprachen, hätte es wohl nur noch weiter angeheizt, und so schweige ich. Einige Momente vergehen, und da ich mich einfach nur dir ergebe und leer zurückblicke, setzt du erneut an.

„Hör mal und bitte glaub mir das: Wenn ich richtig damit liege, was ich vermute, dann magst du mich auf eine besondere Art, obwohl wir beide Frauen sind. Das hat mich sehr überrascht, weil du nie was gesagt hast und die Situation hier super unbehaglich ist. Vielleicht stürzen wir jeden Moment ab und es ist unser letzter. Daher wäre dich anzulügen doch sinnlos. Ich bin nur überrascht, nicht … abgeneigt dem gesamten Konzept.“

Der schroffe Griff wird wieder zu einem sanften Streicheln, während du deinen Kopf zu mir führst und deine Stirn an meine legst. Beruhigend hauchst du: „Es wird alles gut, wir schaffen das.“

Doch mein Verstand spielt gerade zu sehr verrückt. Zu nah bist du mir, zu sehr tobt die so lange verheimlichte Sehnsucht in mir, dass ich an nichts anderes denken kann als den Abstand zwischen unseren Lippen.

Deine Hände sind schwitzig, und ich spüre in deinen Daumen, wie sehr dein Herz schlägt in diesem Augenblick. Es scheint dir einiges abzuverlangen, das hier zu tun, und mein eigenes Herz schlägt ebenso laut, doch wohl aus anderen Gründen, vor denen ich dich zu schützen versuche.

Daher jammere ich warnend: „Hast du keine Angst? Du weißt jetzt, wie ich drauf bin. Ich könnte dich küssen wollen.“ Doch du kicherst nur, und bevor ich weitere Bedenken äußern kann, versiegelst du meine Lippen mit deinen.

Die Augen geschlossen verharrst du im Kuss, um wohl zu sehen, ob ich diesen erwidere, während meine Augen nun die sind, die dich geweitet anstarren. Ich weiß nicht, was hier gerade passiert, und bin mit allem überfordert.

Vielleicht habe ich bereits meinen Verstand verloren und befinde mich nun in einer Welt geboren aus meinem Wahn. Oder du willst sicher gehen, dass, wenn uns etwas passiert, nicht die Verachtung ist, an die ich mich erinnere. Zaghaft erwidere ich deinen Kuss, und du setzt zu einem zweiten und dritten an, bevor du dich von mir löst und mich ansiehst.

Du schiebst meine Beine auseinander, um mit deinem Oberkörper an mich heranzurutschen und mich zu umarmen. Die Stimme wacklig, während dein Kopf sich an mein Dekolleté presst: „Ich habe dich geküsst, bin so nah bei dir und habe versucht, dir zu sagen, wie ich mich fühle. Doch obwohl wir uns ewig kennen und wir uns alles sagen, so dachte ich zumindest, blicken mich deine Augen so resigniert an, als würde nichts bei dir ankommen. Glaubst du mir nicht mehr?“

Zweifelnd lausche ich deinen Worten und hebe deinen Kopf an, als du fertig bist. Meine Lippen nähern sich deinen und ich bin mir sicher, dass die Zweifel recht haben. Doch statt dass du von mir weichst, schließt du die Augen und spitzt die Lippen ein wenig. Nach einem kurzen Zögern meinerseits küsse ich dich von mir aus, und du erwiderst jeden einzelnen.

Mein Kopf hat keinen Platz mehr für Zweifel oder Angst, es gibt nur dich und die Sehnsucht, die ich all die Jahre spüre. Meine Arme umschließen dich und verbinden stetig die Lippenpaare miteinander.

Als du dich doch von mir löst, hast du es geschafft, mir ein verlegenes Lächeln ins Gesicht zu zaubern statt dem vorherrschenden traurigen Ausdruck. Deine Hand sucht und trifft den Notfallknopf auf der Schalttafel des Aufzugs, aus dessen Lautsprecher eine Stimme ertönt.

Den Blick fest auf mir ruhend erzählst du dem Mann am anderen Ende das Problem, der beruhigende Worte wählt und jemanden zur Rettung losschickt. Danach endet das Gespräch und dein Kopf wandert an mein Ohr.

„Es wird alles gut, wir werden gerettet, hast du gehört? Möchtest du danach zu mir? Sollen wir über alles reden und wir schauen, was der Abend noch so bringt?“ Ich habe das Gefühl, dass du trotz des über alles reden Aspekts einen positiven Verlauf anstrebst und nicke verlegen.

Sanft schiebst du dich wieder an meine Brust, während ich deinen Kopf streichle, und wir warten darauf, dass wir befreit werden.