Der Drink

Heute bin ich allein unterwegs, meine Mädels haben etwas vor, und statt des üblichen wilden Feierns kann ich den Abend auf eine Weise ausklingen lassen, die mir oft fehlt.

Ich mag unsere Clubs und Outfits, ich mag, was und wie wir trinken. Aber ich mag auch diese kleinen Bars, in denen man in Ruhe ankommt und die Stimmung eine andere ist.

Das Mobiliar ist bewusst ausgewählt, und jeder Gast saugt in sich die Ästhetik dieser eleganten Umgebung auf. Vor der Tür steht kein bulliger Typ, sondern eine Dame wartet im Inneren im schicken Anzug, die mir auf Anfrage einen Platz an der Bar weist.

Dort angekommen verschmelze ich mit meinem Outfit in die Kulisse und lasse meine Finger über den fein polierten Tresen wandern, das Material vermag mich zu verzücken.

Mein Blick wandert den Tresen entlang, und ich entdecke den Barkeeper, der sich mit einem anderen Gast unterhält, während er ihm ein Glas hinstellt. Als der Barkeeper sich in meine Richtung bewegt, bleibt mein Blick an dem anderen Gast hängen.

Die Worte des Barkeepers reißen mich aus den Gedanken: „Was darf es sein, Miss?“ Ich wende meinen Blick zu ihm. Was ist nur los? Ich fühle mich aufgewühlt, und als ich kindlich-cool klingen will und sage: „Ich nehme das Gleiche, das der andere Gast von Ihnen bekam“, schäme ich mich innerlich ein wenig.

Der Barkeeper nickt und nimmt den Auftrag an, höflich bestätigt mit einem „sehr wohl“. Wieder wandert mein Blick zu dem Mann, der an der Bar sitzt und still sein Getränk trinkt.

Der Eindruck, dass alles hier in die Kulisse passt, erweist sich als Irrtum. Denn dieser Mann ist eine faszinierende Erscheinung für sich, sein Anzug stellt alles um uns herum in den Schatten.

Ich kann mich kaum sattsehen, obwohl ich ihn nur aus dem Augenwinkel, von der Seite, in einer sitzenden Position betrachte. In mir wächst der Wunsch, ihn komplett zu sehen, und die Frage, wie ich ihn dazu bringen kann.

Da unterbricht der Barkeeper meine Gedanken mit meinem Getränk: „Hier, Ihr Macallan Rare Cask.“ Meine Augen weiten sich ein wenig, und ich sage „danke“, doch innerlich schreie ich, was habe ich getan?

Nun ist klar: Ich soll sehr langsam trinken und dieses Getränk genießen, und außerdem müsste ich diesen Monat kürzer treten. Trotzdem darf mein Verstand noch ein wenig mehr von der Ekstase erleben, die in mir wächst, während ich den Mann betrachte.

Vielleicht ist es genau der Mix, den ich jetzt brauche, ein wundervoller Anblick aus feinen Konturen, Stoffen, die in ihrer Hochwertigkeit und Imposanz den Atem rauben und den Eindruck erwecken, es gäbe nur diesen einen, in dieser Größe, in dieser Beschaffenheit auf der Welt.

Wie ein strahlender Stern, der sich aufmacht, unseren dunklen Alltag zu erhellen, bewegt er sich unter uns. Jeder spürt es, jeder muss fühlen, welche Präsenz von dieser Komposition ausgeht.

Mir wird warm, ist es der Alkohol, oder trübt der Anblick meine Sinne? Und wie können die anderen hier existieren, so einen freien Geist haben, wenn solch vollkommene Schönheit unter uns ist? Mein Kopf fühlt sich heiß an. Was, wenn nur ich so empfinde? Wenn alle anderen nicht sehen, was ich sehe, was wenn der Mann im Anzug nur ein Teil der Faszination ist?

Was würde passieren, wenn ich ihn in voller Pracht sähe, jede Naht ertastete, jede Struktur erfasste? Es durchfährt mich, und ich hätte fast zu hecheln begonnen bei dem Gedanken. Offensichtlich würde ich mich berühren wollen. Er dürfte es auch, solange der Anzug angezogen bleibt und ich jeden Winkel erleben kann.

Ein brennend heißer Schluck rinnt meinen Hals hinab, und ich versuche, mich aus meinen Fantasien zurückzuholen, doch alleine den Blick abzuwenden misslingt mir. Nur für Augenblicke lasse ich die Augen wandern, bis sie wieder wie gebannt starren.

Er muss es bemerkt haben, oder? Jeder müsste es bemerken. Ich benehme mich viel zu merkwürdig. Doch vielleicht ist mein Gucken, nein, vielmehr mein Starren, noch geduldet, solange der andere Gast sich nicht unwohl fühlt.

So setze ich die Odyssee fort: mit jedem Schluck und jedem Moment sauge ich mit meinen Augen alles auf, was mir vergönnt ist, und wandle es in Lust. Da kommt mir die Idee: Ein Gang auf die Toilette gewährt zwar nur einen kurzen Moment neuer Perspektive, doch jede Chance ist gut.

Mein Blick fällt zu meinem viel zu teuren Getränk, das ich erst zur Hälfte geleert habe. Die Bar ist übersichtlich, der Barkeeper aufmerksam, die Gästezahl gering. Kann ich mein Glas wohl stehenlassen?

Ich sehe den Barkeeper an und sage freundlich: „Würden Sie mich kurz entschuldigen?“ Er nickt, und ich lasse mein Glas bei ihm zurück. Auf dem Weg zur Toilette tue ich noch uninteressiert, mein Moment wird auf dem Rückweg kommen.

Während ich lediglich mein Make-up auffrische, um etwas Zeit zu vertrödeln, wächst die Begeisterung für meinen Plan. Als ich wieder den Barbereich betrete, sitzt er trotz des geleerten Glases noch dort. Hypnotisiert erkunde ich jeden Winkel von ihm, schreite in Zeitlupe an ihm vorbei und zurück an meinen Platz.

Der Barkeeper hat mein Glas im Blick und wendet sich wieder dem anderen Gast zu, als ich mich setzte und einen Schluck nehme.

Nicht nur den Geschmack meines Getränks koste ich aus. Ich lasse jeden Eindruck, jedes kleine Geräusch, das er macht, den Schnitt, die Art, wie der Stoff fällt, immer wieder auf mich wirken und genieße es in meiner kleinen Privatshow im Kopf, die ich vor anderen verberge.

Der Barkeeper erkundigt sich nach weiteren Wünschen des Kunden, doch dieser winkt ab, nein, Moment, hieß das, was ich denke, was es heißt? Angst erfüllt mich. Ich bin noch nicht bereit, ich brauche noch ein bisschen.

Nachdem er zahlt, steht er auf, und unverhohlen starre ich ihn an. Als hätte seine Bewegung mich erschreckt, als wäre sie allein der Auslöser, obwohl ich nur Augen für seinen Anzug habe. Das Hemd, das sich unter der Krawatte verbirgt und mir bisher verborgen blieb, weckt weiter Neugier.

Keines von beiden muss sich vor dem Anzug verstecken, alles wirkt perfekt arrangiert, und die Farben sind gut aufeinander abgestimmt. Sollte ich ihn ansprechen, auf einen weiteren Drink einladen? Vielleicht bleibt er dann noch einen Moment.

Vielleicht ein Kompliment, das ihn starr werden lässt und mir mehr Zeit gibt, alles ein letztes Mal zu spüren. Doch ich zögere, wende den Blick zu meinem Glas, dessen Rest ich nun leere.

Er geht bedächtig, mit einer Erhabenheit, die dem Anzug gerecht wird, und als er auf der Höhe meines Hockers ist, beugt er sich zu mir herunter und flüstert: „Ihren Drink habe ich schon bezahlt. Möchten Sie mich begleiten?“

Ein Schauer durchfährt mich. Ich bin mir nicht sicher, ob er weiß, dass ich primär seine Kleidung im Auge habe. Doch ich kann erahnen, wohin diese Einladung führt, und ich bin gerne bereit, ihn noch etwas auf mich wirken zu lassen.